Kleidung kann vieles. Auffallen, verstecken, kaschieren, betonen, ein Statement setzen, bezaubern, verführen, abschrecken, leuchten, etwas symbolisieren, Gefühle auslösen. Sie kann aber auch der spezifische Ausdruck einer Kultur sein.
So gehören weiße Hochzeitskleider in unserer Gesellschaft zu den Traditionen, die man sich nicht wegdenken kann. Auch das Dirndl und die Lederhosen im bayerischen Raum sind eindeutig kulturelle Kleidungsstücke.
Da es sich bei traditioneller Bekleidung häufig um ganz besondere, einzigartige Kleidungsstücke handelt, ziehen sie die Betrachter:innen magisch an. Sie erzählen eine Geschichte. Und sie sehen immer gut aus, vor allem wenn es um Damenmode geht.
Deshalb mag es verlockend sein, sich die besonderen Stücke ins eigene Regal zu hängen oder Fotoshootings mit ihnen zu veranstalten und diese auf Social Media zu posten. Doch dies ist unter Umständen sehr problematisch.
Cultural Appropriation, zu deutsch kulturelle Aneignung, ist in seiner simpelsten Definition die Übernahme eines Bestandteils einer Kultur von Mitgliedern einer anderen Kultur oder Identität. Meist wird der Begriff im Zusammenhang mit Kleidung, Frisuren oder Schmuck verwendet. Cultural Appropriation wird, vor allem online und auf Social Media, stark kritisiert und verurteilt. Wer sich eine andere Kultur aneignet, hat nicht richtig gehandelt und wird häufig sogar „gecancelled“, also von der Online Community an den Pranger gestellt und anschließend abgeschrieben.Dies liegt in den meisten Fällen nicht daran, dass niemand außerhalb einer bestimmten Kultur jemals das Kleidungsstück tragen darf. Sondern in der Art und Weise wie dies geschieht, in welchem Kontext die Gesamtsituation steht und ob entsprechend Respekt gezollt wird.
Ein kleines Beispiel:
Tragen internationale Tourist:innen auf dem Oktoberfest einmalig die bayerische Tracht, meist ein Dirndl oder eine Lederhose, ist dies kein Problem. Wird es aber auch in der Heimat in nicht-bayerischen Kontexten getragen oder als Element genutzt, um sich über die süddeutsche Kultur lustig zu machen oder sich als bayerische Person auszugeben, obwohl keinerlei Verbindung besteht, dann ist dies ein Problem.
Es kommt also immer auf die Umstände an. Sobald man dies einmal durchblickt hat, ist das Thema Kulturelle Aneignung gar nicht so schwer zu verstehen.
Das Tragen kultureller Kleidung und Schmuckstücke welche aus einer anderen Kultur als der eigenen stammen, ist immer dann problematisch, wenn dies in einem Kontext geschieht, der lediglich den eigenen Interessen dient.Wer sich zum Beispiel einen Sari zulegt, ohne irgendeine Verbindung zur Kultur zu haben, in der dieser traditionell getragen wird und in welcher er eine lange Geschichte und tiefgreifende Bedeutung hat, sondern lediglich um hübsch auszusehen und unzählige Likes auf Social Media zu bekommen, handelt ausschließlich im eigenen Interesse und damit moralisch falsch. Auch traditionelle Henna Tattoos für rein ästhetische Zwecke fallen unter diese Kategorie, vor allem dann, wenn sie von Menschen angeboten werden, welche ebenfalls keinerlei Verbindung zur Kultur haben.
Das Tragen traditioneller Kleidung als Kostüm, zum Beispiel an Karneval oder Halloween, ist vielleicht eines der schlimmsten Wege, sich eine fremde Kultur anzueignen, da sie die Kleidung nicht nur entfremdet, sondern sich zeitgleich über sie lustig macht. Deshalb sollte dies um jeden Preis vermieden werden. Dies gilt auch für Kinderkostüme.
Das bekannteste Beispiel sind die Gewänder der indigenen Völker Nordamerikas, die viele gerne als amüsantes, schlecht nachgeahmtes Kostüm erwerben oder deren Federschmuck gerne von Influencer:innen auf Social Media getragen wird. In den allermeisten Fällen fehlt nicht nur der persönliche Bezug zur Kultur sowie jedweder Respekt vor diesen Menschen, sondern auch jedes Wissen um die Vielfalt und Bedeutung.
Die Problematik rund um Cultural Appropriation soll nicht zensieren. Sie fordert lediglich Respekt vor Menschen und ihren Kulturen. Insbesondere im Kontext von Unterdrückung. In den meisten Fällen von kultureller Aneignung tragen nämlich weiße Menschen aus dem Westen Kleidung von Gesellschaften, welche sie aktiv oder passiv unterdrücken. Die Aneignung kultureller Elemente zum eigenen Erfolg, zum Beispiel durch Likes auf Social Media, wird in diesem Fall dann ebenfalls zu einem Element der Unterdrückung.
Im Gegensatz zu Cultural Appropriation gibt es aber auch die sogenannte Cultural Appreciation, also die Kulturelle Anerkennung oder Würdigung. Diese kann allerdings nur dann stattfinden, wenn der nötige Kontext besteht und die Kultur und ihre Menschen tatsächlich gewürdigt und unterstützt werden.Der erste Schritt hierfür ist es, sich intensiv mit der Kultur, ihrer Geschichte, der Bedeutung der Kleidung und auch der Unterdrückung der Menschen zu befassen.
Außerdem sollte immer eine Verbindung bestehen. Hat man zum Beispiel Verwandtschaft in der jeweiligen Gegend, ist das Tragen traditioneller Kleidung in den meisten Fällen okay. Wenn man außerdem zu Gast im jeweiligen Land ist und die Einheimischen einen einladen, die traditionelle Kleidung zu tragen, um zum Beispiel bei einem Fest teilzunehmen oder um die Geschichte dieser besonderen Stücke in die Welt zu tragen, ist dies ebenfalls in Ordnung. Unterstützt man mit dem Kauf von zum Beispiel Schmuckstücken unabhängige, kleine Künstler:innen und Unternehmen aus der jeweiligen Kultur und kommuniziert dies auch klar und deutlich, ist dies ebenfalls gerne gesehen.
Sich zu informieren und sich eine Erlaubnis einzuholen, sind die wichtigsten Elemente um statt der problematischen Kulturellen Aneignung die Kulturelle Anerkennung zu praktizieren.
Von einer Kultur und ihrer spezifischen Kleidung fasziniert zu sein, ist etwas Großartiges. Um dies jedoch zu zelebrieren und zu respektieren, sollte nicht einfach blind gekauft werden. Elemente aus anderen Kulturen in das eigene Leben zu integrieren kann nur dann auf eine respektvolle und unproblematische Art und Weise geschehen, wenn dies in entsprechendem Kontext geschieht und wenn das Hintergrundwissen zu den jeweiligen Elementen vorhanden ist. Die Intention und die Umsetzung müssen miteinander harmonieren und im Sinne der jeweiligen Kultur, nicht im eigenen Interesse stehen.
Viel einfacher ist es jedoch, die eigene Kultur zu feiern. Die meisten Regionen der Welt haben ihre eigenen Traditionen und Kleidungsstücke, wie die verschiedenen Trachten aus ganz Deutschland. Diese zu tragen ist vollkommen unbedenklich und sorgt direkt für eine stärkere Bindung zur Heimat.